Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.
Der Mordfall Kressen Haicken 1756 in Keitum

Der Mordfall Kressen Haicken 1756 in Keitum

Eine der wenigen überlieferten Mordfälle aus dem 18. Jahrhundert auf Sylt haben eine Verwandte aus der Familie Wachsmuth betroffen und zeichnet ein Bild der Moralvorstellungen der damaligen Zeit. Die folgende geschichtliche Episode basiert in ihrer Darstellung auf einer freien Wiedergabe aus dem Buch „Sylt – Memoiren einer Insel“ von Peter Schmidt-Eppendorf (Husumer Druck- und Verlagsgesellschaft).

1727 wird in List Katharina Erken als Tochter des Seefahrers, Strandläufers und Schulhalters Erk Nickelsen geboren. Katharina wächst zu einer offensichtlich sehr attraktiven jungen Frau heran, die viele Verehrer findet. In einem Matrosen glaubt sie ihre große Liebe gefunden zu haben. Die Verliebtheit endet in einer ungewollten Schwangerschaft und der Matrose macht sich ebenso schnell aus dem Staub, wie er vorher aufgetaucht war. Ohne Ehemann gilt Katharina in der damaligen Gesellschaft als ehrlos und kurz nach der Niederkunft mit zwei gesunden Jungen wird sie aus dem Elternhaus verstoßen. Insbesondere ihre Schwestern fürchten die Schande, die sie über ihre eigenen Familien bringt. Einen der Zwillinge hat die Mutter allerdings bei sich behalten und großgezogen.

Auf Anraten des damaligen Zollkontrolleurs von List ist Katharina mit dem zweiten Jungen in ein Armenhaus in Ballum gezogen, wo sie ihren Unterhalt mit Waschen, Nähen und Spitzenklöppeln verdienen muss. Mehrere Versuche zur Rückkehr in das Elternhaus wurden von den Schwestern unterbunden und so zog Katharina von Ballum nach Altona, wo sie für die gleiche Arbeit einen höheren Lohn erhalten konnte. Mit ihrem Sohn lebte sie in einer vermutlich recht kargen Dachkammer. Während der Zeit in Altona kamen bevorzugt Sylter Seeleute mit ihrer Wäsche zu ihr. Auf Sylt verbreitete sich das Gerücht, dass sie nicht nur die Wäsche waschen würde, sondern auch der Prostitution nachginge. So traf sie die moralische Keule ihrer Landsleute zusätzlich zu ihrer schon misslichen Lage.

Einer der Seeleute brachte ihr einen Brief mit einer Nachricht von ihrer auf Röm lebenden Tante, bei der sie in ihrer Jugend eine unbeschwerte Zeit verbracht hatte. Die Tante war inzwischen alt und pflegebedürftig. Katharina gab ihre Arbeit in Altona auf und kündigte ihr Zimmer. Hoffnungsvoll machte sie sich mit ihrem Sohn per Schiff auf den Weg nach Röm, nur um festzustellen, dass ihre jüngere Schwester aus List zwischenzeitlich bereits die Aufgabe übernommen hatte. Wieder war sie unerwünscht und musste weiterziehen. Mit der Fähre setzte sie nach List über und hoffte, dass sie doch Aufnahme bei ihrer Familie fände. Aber aufgrund der Gerüchte aus Altona wollte man nichts von ihr wissen und ließ sie nicht wieder in das Elternhaus. Zu Fuß zog sie weiter nach Keitum und nahm sich ein Zimmer. Geld verdiente sie sich als Magd und Wäscherin. Vermutlich aus Verzweiflung über ihre Lage sprach sie zunehmend dem Alkohol zu und vertrank nicht nur ihre dürftigen Einkünfte, sondern stahl ihren Vermietern den Alkohol. So wurde sie immer wieder auf die Straße gesetzt und musste sich eine neue Unterkunft suchen.

Offensichtlich hatten die schweren Jahre ihrer Ausstrahlung und ihrer Wirkung auf Männer nicht viel geschadet, denn auch der Müller von Keitum, Haicke Hansen Möller, bemüht sich um ihre Gunst. Er ist verheiratet und hat vier Kinder, was ihn aber wohl nicht abhält, ein außereheliches Abenteuer zu suchen. Haicke verspricht Katharina wohl großspurig, dass er sie heiraten würde, wenn nur seine Frau Kressen Haicken tot wäre. Kressen war 1756 51 Jahre alt, der Müller 54 und Katharina gerade 29. Als Kressen mit zu waschender Wäsche zu Katharina kam, bot diese ihr einen Tee und ein Zuckerbrot an. Kurze Zeit später befielen Kressen starke Magenkrämpfe und heftiges Unwohlsein. Auch der hinzugezogene Arzt konnte ihr mit seinen Mitteln nicht helfen und wenige Stunden später starb sie einen qualvollen Tod. Der für die Verwaltung zuständige Landvogt schöpfte Verdacht aufgrund der ungewöhnlichen Umstände und ließ die Beerdigung verschieben, damit die Leiche von einem Arzt aus Tondern obduziert werden konnte. Neben neun Fadenwürmern, die allerdings weder ungewöhnlich noch tödlich waren, fanden sich bei einer toxikologischen Untersuchung im Medizinischen Institut der Universität Kiel im Magen Reste von Arsen. Das Gift hatte die Magenschleimhäute zersetzt und innere Blutungen ausgelöst, die zum Tod geführt hatten – Kressen war ohne Zweifel ermordet worden.

Der Verdacht fiel schnell auf die schlecht beleumundete Katharina. Bei einer Untersuchung fand sich in ihrer Zuckerdose weiteres Arsen, ein schon damals gängiges Rattengift. Katharina wurde verhaftet und in das Gefängnis von Tondern gebracht, wo sie die folgenden vier Jahre verbrachte. Die Gefängniszelle war stockdunkel und hatte keine Fenster, sodass sie nur auf dem Weg zu einem Verhör mal ans Tageslicht kam. Vier Jahre lang leugnete sie die Tat in jedem Verhör und vermutlich auch bei Anwendung von Folter, damals unter der verharmlosenden Bezeichnung „peinliche Befragung“ bekannt.

Nach vier Jahren wurde eine Kindsmörderin zu ihr in die Zelle gesteckt, die ihr Vergehen offen eingestanden hatte und ihrer Strafe mit Reue entgegensah. Dieser Eindruck führte bei Katharina zu einem Sinneswandel und sie war bereit vor den Sylter-Ratsmännern auszusagen. Dort gestand sie ihre Tat und zeigte an, dass der Müller Haicke Hansen Möller das Gift beschafft hatte. Bevor der Müller verhaftet werden konnte, entzog er sich durch Flucht und ist in den Folgejahren nicht mehr aufgetaucht. Über Katharina fällte der Rat das zu erwartende Urteil:

„... dass die Inquisitin Catharina Erken zur wohlverdienten Straffe und anderen zum Exempel zur Gerichtsstätte geschleiffet, der Kopf mit dem Schwerdt durch des Scharfrichters Hand vom Leibe getrennet, und demnächst auf dem Pfahl gehefftet, der Leib aber unter dem Galgen eingescharret werden solle; wie denn solchergestalt erkannt und die Inquisitin hiezu schuldig verurtheilet wird.“

Ein Antrag der Verwandten für ein christliches Begräbnis wurde abgelehnt und die Hinrichtung für den 29.09.1760 auf Sylt angesetzt. Auf Antrag des Landvogtes sollte die Hinrichtung nach Tondern verlegt werden, um der Verurteilten die Überfahrt – und den Syltern das schreckliche Schauspiel zu ersparen. Eigentlich wollte er aber den vom Rat ausgewählten Sylter Seefahrern erparen, den „Kreis zu schlagen“. Der Brauch verlangte, dass die ausgewählten Bürger die Richtstätte in einem engen Kreis umstanden, um den Vollzug des Urteils zu bezeugen und die aufgebrachte Bevölkerung fernzuhalten. Durch die Verlagerung der Hinrichtung nach Tondern wurden dortige Bürger gegen Zahlung von 100 Mark zum Kreisschlagen geworben. Der neue Hinrichtungstermin war der 23.10.1760, der aber auch nicht eingehalten werden konnte, da die Richtstätte von heftigem Regen überschwemmt war. Einige Tage später starb Katharina unter dem Schwert - mit erst 33 Jahren. Vor der Beerdigung unter dem Galgen erhielt der Flensburger Arzt Dr. Bössel das Recht zu einer Entnahme von Gebärmutter und Geschlechtsorganen, um Material für die Vorlesungen für werdende Hebammen zu sammeln.

Dies ist eine private Seite für private Nutzer mit Interesse an der Genealogie und der Region, für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben kann nicht garantiert werden. Neue Erkenntnisse werden eingepflegt und Hinweise zu Ergänzungen oder Korrekturbedarf werden gerne entgegengenommen!

 

© 2018. Dr. Jürgen Kaack. Alle Rechte vorbehalten.

Cookie-Regelung

Diese Website verwendet Cookies, zum Speichern von Informationen auf Ihrem Computer.

Stimmen Sie dem zu?